Für zwei Tage kam beim diesjährigen Forum Bürgergesellschaft eine bunte Mischung verschiedener Teilnehmer*innen in Erfurt zusammen, um über Ziele, Wünsche und Herausforderungen junger Engagierter in Ostdeutschland zu diskutieren. Mit dabei waren Vertreter*innen diverser Stiftungen, Vereine, zivilgesellschaftlicher Organisationen und junge Engagierte aus unterschiedlichen ostdeutschen Regionen.
Zum Einstieg des Forum Bürgergesellschaft begrüßte Olaf Ebert, Vorstand der Stiftung Bürger für Bürger, gemeinsam mit Jessy James LaFleur, die die Veranstaltung moderierte. Die darauffolgende Kennenlernrunde bot den Teilnehmenden die Möglichkeit, sich nicht nur untereinander, sondern vor allem auch mit Vertreter*innen der mitveranstaltenden Organisationen auszutauschen. Zu diesen gehörten neben der Stiftung Bürger für Bürger, die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt, die Heinrich-Böll-Stiftung, die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius sowie das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement.
Die Nachwendegeneration – Wer ist das und was treibt sie an?
Nach diesem ersten Kennenlernen folgte ein Impuls-Vortrag des Soziologen Dr. Daniel Kubiak (HU Berlin). Er verwies darauf, dass die Angehörigen der Nachwendegeneration eine gemeinsame Sozialisationserfahrung teilten: „Die zwischen 1990 und 1995 Geborenen lebten in Ostdeutschland, ohne die DDR miterlebt zu haben und erleben trotzdem Zuschreibungen, die stark über die DDR erklärt werden“. Im Vergleich zu gleichaltrigen, in Westdeutschland sozialisierten jungen Menschen, würde „Ostdeutsch-Sein“, ihre Identität deswegen mitprägen.
Brauchen wir eine „Critical Westness“?
Diese Identifikation erfolge jedoch primär dann, wenn eine negative Zuschreibung stattfindet; Abwertungserfahrungen als Ostdeutsche über Fremdzuschreibungen verstärkten das Gefühl tatsächlich „ostdeutsch“ zu sein. Trotz geteilter Erfahrungen, könne jedoch keinesfalls von „den jungen Ostdeutschen“ als einer einheitlichen Gruppe die Rede sein. Sie – genauso wie die Bereiche, in denen sie sich engagieren – sind vielmehr vielfältig und verschieden.
In der anschließenden Diskussion wurde insbesondere die Bedeutung von Selbst- und Fremdzuschreibungen für die Identifikation als „ostdeutsch“ thematisiert. Dabei stellte sich unter anderem die Frage, welche Rolle in Westdeutschland sozialisierten Menschen in diesen Diskursen zukommen könnte.
Session 1: Da muss ich mich einmischen! – Gesellschaft verändern durch politisches Engagement
In der ersten Session diskutierte die Runde mit drei Podiumsgäste – allesamt aus der Region Lausitz – unterschiedliche Formen politischen Engagements in Ostdeutschland.
Maik Kutschke, Geschäftsführer des soziokulturellen Zentrums „Alte Brauerei“ in Annaberg-Buchholz, betonte die Bedeutung gesellschaftlicher Beteiligung junger Menschen, um ihrer Abwanderung, insbesondere aus dem ländlichen Raum, entgegenzuwirken. Soziokulturelle Formate hätten den Vorteil, einen besonders niedrigschwelligen Zugang für eine Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensrealität und politischer Positionen zu ermöglichen.
Laura Staudacher, Gründerin des Netzwerks Junge Lausitz, hob das Problem mangelnder Repräsentation und das Fehlen junger Menschen in Entscheidungspositionen hervor. Ihnen würde nicht nur wenig zugetraut, sondern gleichzeitig viel von ihnen erwartet. Lokalspezifische Herausforderungen, wie fehlende Infrastruktur im ländlichen Raum, würden das Engagement junger Menschen zudem erheblich erschweren.
Ricarda Budke, politisch engagiert bei Bündnis 90/Die Grünen und jüngstes Mitglied des Landtags in Brandenburg, hob hervor, dass sich junge Menschen heute besonderen Herausforderungen gegenübergestellt sehen. Für sie zeige insbesondere die Fridays For Future Bewegung das große Interesse junger Menschen, sich politisch einzubringen.
Der erste Tag fand schließlich seinen berührenden Abschluss mit einer Spoken Word-Performance der Künstlerin Jessy James LaFleur, die in mehreren Texten biographische Erfahrungen und Eindrücke sowie Parallelen zwischen ihrer Heimat Ostbelgien und Ostsachsen thematisierte.
Session 2: Doppelte Unsichtbarkeit überwinden – Postmigrantisches Engagement in Ostdeutschland stärken
Am Folgetag setzte die zweite Session das Engagement junger Menschen mit Migrationsgeschichte in den Mittelpunkt. Elisa Calzolari, Geschäftsführerin des Landesnetzwerk der Migrant*innenorganisationen – MigraNetz Thüringen, verdeutlichte die Relevanz des Themas speziell im ostdeutschen Zusammenhang. Sowohl historische, als auch aktuelle Unterschiede zwischen Ost und West müssten mitgedacht werden.
Rama Taktak, Studentin aus Erfurt und selbst vielfach engagiert, berichtete von den zusätzlichen Hürden, denen sie und viele andere sich gegenübergestellt sehen. Insbesondere Migrant*innen der ersten Generation fehle das Wissen darüber, was Ehrenamt überhaupt bedeutet und wie dieses aussehen kann. Dazu komme die Unsicherheit, ob und in welcher Form gesellschaftliche Teilhabe möglich und erwünscht ist oder welche Reaktionen die eigene aktive Beteiligung nach sich ziehen könnte.
Yaroslav Emelianov, Projektmitarbeiter im „Kompetenznetzwerk für das Zusammenleben in der Migrationsgesellschaft“ hob hervor, dass vielen Menschen mit Migrationsgeschichte Partizipationsmöglichkeiten, sowohl im zivilgesellschaftlichen als auch politischen Rahmen fehlten, da viele z.B. nicht wahlberechtigt sind. Dies gelte bundesweit.
Im nachfolgenden Gespräch mit den übrigen Teilnehmenden wurde auch über die Unterschiede migrantischer Selbstorganisationsformen in Ost- und Westdeutschland diskutiert. Die vergleichsweise geringere Zahl von Menschen mit Migrationsgeschichte in Ostdeutschland, insbesondere im ländlichen Raum, verlange eine spezifisch ostdeutsche Perspektive.
Session 3: Konkurrenzen vermeiden, Brücken schlagen – Junge Menschen zwischen klassischem Ehrenamt und neuen Engagementformen
In der anschließenden letzten Session erarbeiteten die Teilnehmenden gemeinsam, welche Vorurteile verschiedenen Arten von Engagement entgegengebracht werden. Mithilfe einer Vertreterin bzw. eines Vertreters unterschiedlicher Organisationsformen wurde versucht, eine jeweils andere Perspektive einzunehmen.
Wiebke Schricker, vom Verein FACK in Altenburg, repräsentierte junges Engagement, das insbesondere durch Netzwerk-Arbeit mit verschiedenen Akteuren geprägt ist.
David Wiedemann, Mitgründer des Ehrenamts-Stammtisch Römhild und Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, vertrat das klassische Ehrenamt und berichtete unter anderem von Herausforderungen bei der Gewinnung junger Menschen.
Igor Matviyets, aktives Mitglied d der SPD Sachsen-Anhalt, setzt sich für junge, migrantische Perspektiven auf verschiedenen politischen Ebenen ein und repäsentierte parteipolitisches Engagement.
Trotz der Vorbehalte wurde beim gemeinsamen Abschlussgespräch der Session betont, dass jede dieser Formen des Engagements ihren eigenen Wert besitzt, sowie ihren Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt leistet und sie nicht gegeneinander abgewogen werden könnten.
Starkes Gemeinschaftsgefühl Engagierter in Ostdeutschland
Abseits der offiziellen Programmpunkte führten viele Teilnehmende die Diskussionen in kleinerem Rahmen fort und knüpften Kontakte untereinander. Bezeichnend dabei war für einige der Eindruck, dass sich trotz der kurzen gemeinsam verbrachten Zeit, vergleichsweise schnell ein Gruppengefühl herausbildete, was vielleicht durch die besonders spezifischen und von vielen der Teilnehmenden geteilten Erfahrungen des jungen Engagements in Ostdeutschland erklärt werden kann.
Die Veranstaltung wurde vom Team des Podcasts Menschen.Leben.Osten. begleitet. Die Podcast-Folge zum Forum Bürgergesellschaft kann auf allen gängigen Podcast-Plattformen gehört werden.
Eine ausführliche Dokumentation zum Nachlesen gibt es hier.
Text: Paula Klötzke
Fotos: Inken Thärichen