Am 11. März veranstaltete die Stiftung Bürger für Bürger in Kooperation mit der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt und dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement ein Fachgespräch, bei dem die neu erschienene Studie „Engagementförderung in Ostdeutschland“ vorgestellt und diskutiert wurde. Der Fokus der Veranstaltung lag auf der Frage, wie die Empfehlungen aus der Studie praktisch umgesetzt werden können.
Teil 1 – Zentrale Befunde der Studie
Im ersten Teil der Veranstaltung stellten die beteiligten Wissenschaftler:innen Dr. Birthe Tahmaz (ZiviZ im Stifterverband), Dr. Thomas Gensicke (Gensicke Sozialforschung) und Jochen Spengler (BONUSNORM e.V.) die wesentlichen Ergebnisse der Studie vor. Diese finden Sie zum Nachlesen in der Kurzfassung der Studie und im Video-Mitschnitt.
Anschließend wurde die Diskussion mit den ca. 70 Teilnehmenden eröffnet. Als direkte Rückmeldung zum Untersuchungsfokus wurde angemerkt, dass eine Betrachtung auf Bundeslandebene zwar einen guten Anfang darstellt, es jedoch wichtig sei, im nächsten Schritt eine regional differenzierende Analyse mindestens auf Landkreisebene durchzuführen, da es innerhalb der Länder und Landkreise starke Unterschiede gebe.
Großes Interesse bestand an den geplanten Engagementstrategien der Länder. Bisher hat nur Sachsen-Anhalt einen solchen Prozess gestartet. Auch die anwesenden Vertreter:innen Brandenburgs und Mecklenburg-Vorpommerns signalisierten Interesse an den Erfahrungen aus Sachsen-Anhalt und wollen eigene Engagementstrategien in ihren Bundesländern anregen. Eine Teilnehmerin äußerte zudem die Hoffnung, dass die geplante nationale Engagementstrategie die Länder motivieren könnte, eigene Landessstrategien zu entwickeln.
Aus der Runde der Teilnehmenden wurde immer wieder die Problematik der Nachwuchsgewinnung angesprochen. Eine Teilnehmerin erklärte, dass es bereits jetzt auf Grund des demographischen Wandels eine starke Konkurrenz um die jungen Menschen im Ehrenamt besonders im ländlichen Raum gebe. Es brauche eine Strategie zur Entwicklung niedrigschwelliger Zugänge und nicht nur Maßnahmenpolitik.
Die an die Wissenschaftler:innen gestellte Frage, was an Infrastruktur in ländlichen Räumen gut funktioniert und wo es gute Beispiele gibt, ist laut Moderatorin Dr. Lilian Schwalb (BBE) die „Gretchenfrage“. Gleich zwei konkrete Ansätze kamen von Martin Arnold-Schaarschmidt (Plattform e.V.). Sein Plädoyer an Politik und Verwaltung: „Aktiviert und nutzt die (nicht immer bekannten) Ressourcen vor Ort.“ Coworking, Dorfläden und „dritte Orte“ seien räumliche und soziale Infrastruktur für die Ehrenamtsförderung im ländlichen Raum. Auch wenn die Art zu denken und zu sprechen bei Akteur:innen vor Ort teilweise anders sei – an solchen Orten träfen sich Menschen mit Kompetenzen, mit Gestaltungslust, mit Perspektive vor Ort, mit Raum und sozialem Kapital.
Anknüpfend an das Konzept der „dritten Räume“ als Engagement-Infrastruktur machte er zudem den Vorschlag, bürgerschaftliche Initiativen durch die Bereitstellung von Immobilien zu stärken. Indem man diese „einmalig“ aus der Vermarktung nehme und sie Engagierten zur Verfügung stelle, könnten diese mit dem Raum sogar wirtschaften und so auch Eigenmittel generieren.
Als weitere Herausforderung wurde die Bürokratiebelastung für Vereine diskutiert. Hier können Stiftungen einen wichtigen Beitrag zur Entlastung der Ehrenamtlichen leisten. Dr. Niels Lange von der Thüringer Ehrenamtsstiftung beschrieb seine Institution als „Bürokratiepuffer“ zwischen Empfängern und Fördermittelgebern. Zivilgesellschaftliche Logik und staatliche Logik unterschieden sich sehr. Eine Landesstiftung könne dies zwar für die Vereine abpuffern, habe aber selbst an einigen Stellen mit der monetären Denkweise fördernder Institutionen zu kämpfen, die auch die Qualität beeinträchtige. Dem entgegnete ein Landesvertreter, dass auch Behörden nicht einheitlich seien und es auch dort Entwicklungen und Kämpfe gebe.
Teil 2 – Vorstellung der Empfehlungen
Im zweiten Teil der Veranstaltung stellte der wissenschaftliche Leiter der Studie, Dr. Holger Krimmer (ZiviZ im Stifterverband), die Empfehlungen aus der Studie vor. Dabei konzentrierte er sich auf die vier Ebenen: länderübergreifendes Handeln, Engagementpolitik der Länder, Bedarfe der lokalen Ebene und bessere Nutzung von Lernchancen. Die Empfehlungen finden Sie in der Kurzfassung der Studie und im Mitschnitt ab Minute 37:39.
Teil 3 – Engagementpolitische Diskussion der Empfehlungen
Anschließend wurden die Empfehlungen der Studie von fünf Podiumsgästen kommentiert (Videomitschnitt ab Minute 51:00). Den Auftakt der Diskussionsrunde machte Dr. Christoph Stegmanns, Leiter der Unterabteilung „Engagementpolitik“ im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Als wichtigsten Punkt nannte er die Stärkung von Synergien, da die Herausforderungen für Engagierte sich angesichts sich häufender aktueller Krisen mittlerweile dermaßen schnell änderten, dass es praktisch unmöglich sei, immer wieder neue, zusätzliche Formate zu spezifizieren. Notwendig seien vielmehr kooperativ aufgestellte Strukturen mit einer großen Bandbreite und hohen Flexibilität.
Die Stiftungsperspektive wurde vertreten durch Jan Holze, Vorstand der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt. Er argumentierte für eine Stärkung der bestehenden Strukturen. Gleichzeitig rief er dazu auf, sich bei den aktuellen politischen Vorhaben aktiv einzubringen. So sollten die Engagierten ihre Erfahrungen in den Entstehungsprozess des Demokratiefördergesetzes einbringen.
Die Ebene der Länder wurde durch Gundel Berger vom Sozialministerium Sachsen-Anhalt repräsentiert. Die Referatsleiterin Demokratie- und Engagementförderung wies darauf hin, dass die finanzielle Situation der Infrastruktur zur Engagementförderung prekär und instabil ist. Oft liefen viele Projekte gleichzeitig und Krisen überschneiden sich, deshalb seien themenübergreifende engagementfördernde Strukturen wichtig, welche flexibel handeln und inklusiv Menschen für Engagement gewinnen. Als konkrete niedrigschwellige Fördermöglichkeit für informelles Engagement sprach sie sich für unbürokratische Engagementfonds aus.
Dr. Adriana Lettrari-Pietzcker, Geschäftsführerin und Vorstandsmitglied der Ehrenamtsstiftung Mecklenburg-Vorpommern, drückte ihre Wertschätzung für die Studie aus, die die Selbsterkenntnis und Reflektion der Akteure und Vereinheitlichung von Begrifflichkeiten fördere. Im Engagementsektor, der sich noch in einer Professionalisierungsphase befinde, seien solche empirischen Daten sehr wichtig. Für zukünftige Studien wünsche sie sich einen ressourcenorientierten Blick auf alles, was bereits gut läuft sowie die Ableitung kleiner realistischer Schritte, die schnell Erfolg versprechen, um die Motivation der im Sektor Tätigen zu stärken.
Die Zivilgesellschaft repräsentierte zum Abschluss des Podiums Tobias Kemnitzer, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen (bagfa). Er forderte mehr Mut zur Improvisation und mehr Kooperation zwischen den verschiedenen Akteuren sowie mehr Einbezug der Praxis. Er bedauerte, dass es von Seiten der Verwaltungen ein Misstrauen gegenüber zivilgesellschaftlichen Strukturen gebe und forderte eine Vision, wie eine optimale Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Kommunen aussehen könne und das Vertrauen gestärkt werden kann. Hier schloss er sich Holger Krimmer mit seiner These an, dass Vertrauen vor allem durch Umsetzung und gemeinschaftliches Handeln gestärkt werde.
Die Stiftung Bürger für Bürger und die Mitveranstaltenden danken allen Teilnehmenden, Impulsgebenden und Kooperationspartnern für ihre aktiven Beiträge, die in der weiteren Arbeit der Stiftung aufgegriffen werden.
Text: Sophie Leins und Olivia Graf